Die Teilrevision zielt an den Armutsbetroffenen vorbei. Man kann Armut nicht wegverwalten, wie das vielleicht einige Politiker*innen wünschen. Weder ein Assessmentcenter noch eine Kürzung von Beiträgen werden verhindern, dass Menschen in die Armut abrutschen.
Es ist aus kirchlicher Sicht unsere Pflicht ein Augenmerk darauf zu haben, dass die Menschen am Rande der Gesellschaft geschützt sind und nicht politischen Grabenkämpfen zum Opfer fallen.
Wer ist denn eigentlich betroffen? Es ist zum Beispiel die alleinerziehende Mutter, die ihr schwerkrankes Kind betreut und darum keiner Erwerbsarbeit nachgehen kann. Es ist der 56 Jahre alte Bauarbeiter, der nach einem schweren Unfall – trotz Umschulung durch die IV – keine Anstellung im administrativen Bereich findet. Es ist die Mutter von vier Kindern, die aufgrund ihrer traumatischen Fluchterfahrung und mangelnder Bildung nicht in der Lage ist, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
Was macht das mit einem Menschen? Viele Menschen, die längerfristig von Sozialhilfe abhängig sind werden depressiv, kraftlos und krank. Das Ausgeschlossensein von den meisten sozialen Aktivitäten, das Abhängigsein vom Goodwill anderer, schwächt Menschen. Daher ist es eine grosse und wichtige Aufgabe, diese Menschen dabei zu unterstützen, sich innerlich wieder aufzurichten, denn nur gerüstet mit Selbstvertrauen und kraftvoller Lebensenergie kann man seinen Lebensweg erfolgreich gehen.
Dies gilt insbesondere auch für die Kinder, denn sie machen einen grossen Teil der Sozialhilfebezüger*innen aus. Armut ist vererbbar, was diesen Umstand noch viel schlimmer macht.
Wir müssen das Bild von den Menschen, die von der Sozialhilfe unterstützt werden, revidieren. Es sind keine Sozialschmarotzer, die in der Hängematte liegen. Es sind Lebenskünster*innen, die mit so wenig auskommen müssen, wie es sich die meisten Einwohner*innen im Kanton gar nicht vorstellen können.
Sie müssen mit einem Minimum auskommen. Sie müssen sich zum Beispiel sehr gut überlegen, ob sie noch in einem Verein Mitglied sein können, ob ein Kinobesuch drinliegt oder ob sie dem Patenkind ein Geburtstagsgeschenk kaufen können. Die Sozialhilfe deckt kaum die Grundbedürfnisse, sie reicht oft mehr schlecht als recht, um eine Verelendung und Ausgrenzung zu verhindern.
An dieser Stelle sollte man auch bedenken, dass fast ein Drittel der Personen arbeitstätig sind, aber nicht genug Lohn erhalten, um davon leben zu können. Die Mär, dass pauschal alle Armutsbetroffenen eine Anspruchshaltung an den Staat entwickeln würden, weil sie nichts für die Leistungen erbringen müssten, ist schlicht an den Haaren herbeigezogen.
Ich kenne niemanden, der stolz ist, Sozialhilfe zu beziehen. Aber ich kenne viele, die sich dafür schämen. Und bekanntlich gibt es auch eine grosse Dunkelziffer von Personen, welche sich aus Angst vor Stigmatisierung gar nicht erst bei der Sozialhilfe anmelden.
Was uns die letzte Armutskonferenz deutlich zeigte: Armut ist bei uns in der Schweiz unsichtbar und wenn sie sich zeigt, mit persönlichen Geschichten und Gesichtern, lösen sie Erstaunen aus. So sagte einer der dort anwesenden Politiker*innen: «Die sind ja alle ganz nett…» Ich weiss nicht was er erwartete, aber der Satz sagt alles!
Er ist Ausdruck davon, mit welchem Geist die aktuelle Revision aufgegleist wurde. Nämlich mit einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Armutsbetroffenen. Ihnen wird unterstellt, dass sie es sich mit der Sozialhilfe gemütlich machen würden. Darum will die Regierung jetzt den Betroffenen nach zwei Jahren der Grundbedarf zusammenkürzen, weil das angeblich motivierend wirken soll.
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das funktionieren soll bei einer alleinerziehenden Mutter, die ihr Kind oder ihre Kinder betreuen muss, oder bei einem verunfallten Bauarbeiter, der keine Stelle findet.
Misstrauen führt nicht zu Selbstvertrauen. Darum ist das revidierte Sozialhilfegesetz der falsche Weg, um Armut wirksam zu bekämpfen.
Verena Gauthier, Fachverantwortliche Diakonie des Pastoralen Zentrums der katholischen Kirche BL