Statement von Andrea Wüthrich an der Pressekonferenz vom 15. März 2022

Ich bin seit 12 Jahren als Sozialarbeiterin tätig und durfte mehrere Jahre auf einem Sozialdienst im Kanton Baselland Erfahrungen sammeln. Ich schätze die Bemühungen des Regierungsrates und der Finanzkommission, die unterschiedlichsten Anliegen in einer Sozialhilfe-Gesetzesrevision zu vereinigen. Diese Gesetzesrevision geht aber in die falsche Richtung. Aus fachlicher Sicht kann ich vieles nicht nachvollziehen. Und aus praktischer Sicht sehe ich einen grossen Mehraufwand auf uns zukommen.

Der Mehraufwand kommt aber nicht den Armutsbetroffenen zugute, sondern er fliesst in die Verwaltung. Neue Zuschüsse, die nach neuen Regeln vergeben werden, brauchen Zeit für die Prüfung und die Rapportierung. Und davon gibt es gleich zwei, den Motivationszuschuss und den Beschäftigungszuschuss.

Es handelt sich bei dieser Revision um eine komplizierte Regelung, die dazu führt, dass die Bürokratie wächst und weniger Geld bei den Betroffenen ankommt.

Sie müssen sich das so vorstellen, dass die Berechnung der Sozialhilfe bereits heute hochkompliziert und anspruchsvoll ist. Die Berechnungsbudgets sind oft eine Seite lang, mit Abzügen für zu hohe Mietzinse oder zu hohe Krankenkassenprämien, Rückzahlungsraten, Sanktionen und unterschiedliche Leistungshöhen wie ein tieferer Grundbedarf für junge Erwachsene oder unterschiedliche Beträge für Mehrpersonenhaushalte – um nur einige Beispiele zu nennen. Mit der Teilrevision des Sozialhilfegesetzes würde alles noch viel komplizierter.

Übrigens gibt es den Motivationszuschuss nur in den ersten zwei Jahren. Damit wird den Betroffenen indirekt unterstellt, dass sie nach zwei Jahren gar nicht mehr so motiviert sein können, dass sie diesen Zuschuss verdient hätten. Stattdessen glaubt man, diese mit einer Beitragskürzung, dem sogenannten Langzeitabzug, motivieren zu können.

Wenn es das Ziel ist, dass Ablösungen von der Sozialhilfe stattfinden, dann kann das nicht mit Langzeitabzügen und Beiträgen erreicht werden. Es ist niemand freiwillig in der Sozialhilfe. Deshalb würden diese Massnahmen ihren Zweck verfehlen. Das was wirklich wirkt, sind Sozialhilfeleistungen, welche die Existenz sichern, damit sich die Betroffenen auf ihre Integration und Selbständigkeit konzentrieren können. Davon bewegen wir uns mit dieser Gesetzesrevision jedoch weg.

In der Gesetzesvorlage sind unzählige Ausnahmefälle definiert, die geprüft werden müssen. Es kann gut sein, dass es am Ende mehr Ausnahmen als normale Fälle geben wird. Die Bürokratie, die all diese Prüfungen bedeuten, können sie sich kaum vorstellen. Daher ist die Regelung mit den Langzeitabzügen absurd, denn ein Gesetz sollte für den Normalfall gemacht sein. Die Ausnahmen sollten das sein, was der Name sagt: Ausnahmen.

Je mehr Ausnahmen desto grösser ist auch die Möglichkeit für unterschiedliche Handhabung – also mehr Willkür. Bereits jetzt gibt es grosse Unterschiede zwischen den Gemeinden. Je nach dem in welcher Gemeinde man wohnt, erhält man mehr oder weniger Leistungen der Sozialhilfe – je nach Auslegung des Gesetzes. Unter gewissen Gemeinden ist sogar ein Negativwettbewerb zu beobachten, das heisst, möglichst unattraktive Bedingungen in der Sozialhilfe zu schaffen.

Der Kanton Baselland, dessen Sozialhilferegelung bereits jetzt als einer der restriktivsten in der Schweiz gilt und die SKOS-Richtlinien unterbietet, würde nochmals mehr ausscheren und dazu beitragen, dass sich die Sozialhilfe, welche ein wichtiger Beitrag für die Soziale Sicherheit und den Sozialen Frieden ist, verschlechtert.

Und nun zu meinem wichtigsten Anliegen und wahrscheinlich auch das wichtigste Anliegen der Baselbieter Stimmbevölkerung: Das sind die Kinder und Jugendlichen von armutsbetroffenen Familien. Ein Drittel aller Personen die Sozialhilfe beziehen sind Kinder und Jugendliche. Auch das Parlament gibt vor, den Kindesschutz mit der Revision verbessern zu wollen.

Aus fachlicher Sicht muss leider ganz deutlich gesagt werden, dass sich die Situation der Kinder und Jugendlichen mit der neuen Vorlage verschlechtert wird. Kinder und Jugendliche erhalten zwar keinen direkten Langzeitabzug, aber einen indirekten! Wenn die Eltern der Kinder einen Abzug erhalten, betrifft dies unmittelbar auch die Kinder. Das bedeutet mehr Stress für die Familien, nochmals mehr Abstriche und weniger Möglichkeiten die Kinder und Jugendlichen zu fördern. Das Risiko steigt, dass die Armut vererbt wird.

Mit dieser Vorlage versandet das Geld in der Bürokratie und kommt nicht bei den armutsbetroffenen Menschen an. Daher empfehlen wir aus fachlicher Sicht eine Ablehnung des Gesetzes.

Andrea Wüthrich, Sozialarbeiterin FH und Mitglieder Forum Kritische Sozialarbeit (Kriso)